Die Postwachstumsökonomie

Prof. Dr. Nico Paech formuliert dazu 2015:

Die lang gehegte Hoffnung, dass wirtschaftliches Wachstum durch technischen Fortschritt nachhaltig oder klimafreundlich gestaltet werden kann, bröckelt. Weiterhin scheint ein auf permanente ökonomische Expansion getrimmtes System kein Garant für Stabilität und soziale Sicherheit zu sein. Darauf deuten nicht nur die Eskalation auf den Finanzmärkten und die Schuldenkrisen hin, sondern auch die Verknappung jener Ressourcen („Peak Everything“), auf deren unbegrenzter und kostengünstiger Verfügbarkeit das industrielle Wohlstandsmodell bislang basierte. Zudem nährt die sog. „Glücksforschung“ den Befund, dass Steigerungen des monetären Einkommens ab einem gewissen Niveau keine weitere Zunahme des subjektiv empfundenen Wohlbefindens hervorruft.

 

Folglich ist es an der Zeit, die Bedingungen und Möglichkeiten einer Postwachstumsökonomie auszuloten. Letztere ist das Resultat eines prägnanten Rückbaus arbeitsteiliger, geldbasierter und globalisierter Versorgungsmuster. Stattdessen werden Suffizienz und urbane Subsistenz als Ergänzung eines merklich reduzierten und zugleich umstrukturierten Industriesystems bedeutsam sein. Aus Konsumenten werden souveräne Prosumenten, die mittels reaktivierter Subsistenzressourcen (z.B. Handwerk) zur gemeinschaftlichen Versorgung beitragen.

 

Zudem ist die Postwachstumsökonomie durch Sesshaftigkeit gekennzeichnet, also durch Glück ohne Kerosin.

 

Kurztext:

Der Klimawandel, Schuldenkrisen, die Verknappung jener Ressourcen, auf deren kostengünstigere Verfügbarkeit das industrielle Wohlstandsmodell bislang basierte, sowie Befunde der Glücksforschung zeigen, dass die Wachstumsparty vorbei ist. Folglich sind die Möglichkeiten einer Wachstumsökonomie auszuloten. Demnach ist ein prägnanter Rückbau geldbasierter Versorgungssysteme vonnöten. Suffizienz, moderne Subsistenz und kürzere Versorgungsketten werden dann wichtige Gestaltungsoptionen sein.

Ausschreibungstext für den Vortrag bei der KEB 2015

Prof. Dr. Niko Paech erläutert seine Denkweise 2014 in einem Interview wie folgt:

Die Vorstellung von grünem Wachstum erscheint manchen als Widerspruch in sich. Können wir nur nachhaltig leben, wenn wir auf Wirtschaftswachstum und überflüssigen Konsum

verzichten?

Das Universitätsviertel von Oldenburg erwacht, die ersten Studenten tauchen in den Höfen und Fluren des Vorlesungsgebäudes auf. Weniger als sonst: Orkan Xaver ist für den  Nachmittag angekündigt, mit Böen bis zu Windstärke 12 soll er über Norddeutschland hinwegfegen. Doch noch stehen die Bäume still im Hof, als Niko Paech in den Raum 006 eilt und seinen Laptop anstöpselt. Er hält eine Vorlesung zur sogenannten Just-in-Time-Fertigung in der Autoherstellung, die auf Lagerhaltung verzichtet. Oder, wie es Paech formuliert: die Lagerkapazitäten von der Firma auf die Straße verlagert. Ein noch verhaltener Anklang an seine deutlich radikaleren Thesen zur "Postwachstumsökonomie", die Niko Paech in

Zeiten der Krise zu einem gefragten Vortragsredner an Universitäten, in Stadthallen und Volkshochschulen gemacht hat.

 

natur: Herr Paech, während Ihrer Vorlesung haben einige Studenten am Laptop gearbeitet. Eine Studentin hat sogar gechattet.

Niko Paech: Manche meiner Studenten glauben, sie wären multitaskingfähig. Ich hatte sogar schon welche in der Sprechstunde, die während des Gesprächs E-Mails nachgeschaut

haben. Mit denen kann man keine fünf Minuten gemeinsam einen Gedanken

entwickeln. Schade.

 

natur: Warum verbieten Sie Laptops und Smartphones nicht einfach?

Niko Paech: Konservativ genug wäre ich, aber nicht autoritär genug. Der schönere Weg ist der, ohne Verbote auszukommen. Meine Studenten sollen selbst darauf kommen, dass man sich besser auf eine Sache konzentriert und dadurch mehr Spaß hat.


natur: Das sagen Sie, weil Sie kein Smartphone haben.

Niko Paech: Nein, das sagt die Neurowissenschaft: Der Mensch kann nicht mehrere Dinge gleichzeitig verrichten. Wir überfordern uns systematisch, wenn wir zu viele Ereignisse in immer schnellerer Reihenfolge hintereinander ausschöpfen wollen. Wir leiden dann unter dem Gefühl der Zeitknappheit. Aus der Konsumforschung wissen wir, dass Konsum keine Freude mehr macht, wenn wir zu viel davon haben.


natur: Aber anscheinend bereitet es den Menschen doch Freude, sonst würden sie es sein lassen.

Niko Paech: In vielen Fällen tun wir Dinge nicht, um glücklich zu sein, sondern um das Unglück zu vermeiden, sozial und kulturell den Anschluss zu verlieren. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wenn ich in einem Umfeld lebe, in dem alle um mich herum eine bestimmte Automarke zelebrieren, eine besondere Elektronikausstattung oder Flugreisen an exotische Orte, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als mich an diese Standards anzupassen. Mittlerweile haben wir allerdings derart viele Möglichkeiten des Konsums geschaffen, dass uns keine Zeit bleibt, die Dinge auch zu genießen. Wenn wir in so einer Situation unseren Verbrauch reduzieren, ist das kein Verzicht, sondern im Gegenteil: eine Aufwertung der Dinge, die dann in der engeren Auswahl verbleiben.


natur: Klingt gut. Wenn ich aber die Marke von 2,7 Tonnen CO2-Verbrauch im Jahr anlege, von der Sie auch oft sprechen, dann sieht mein Leben schnell karg aus.

Niko Paech: Der Wert kommt nicht von mir oder irgendwelchen Ökofreaks, sondern vom wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen. 2,7 Tonnen CO2 - so viel steht jedem Erdenbewohner im Jahr zu, wenn sich unser Klima bis zum Ende des Jahrhunderts nicht um mehr als zwei Grad erwärmen soll.


natur: Unser Leben nach einer CO2-Grenze auszurichten erfordert doch ein ungemeines Abstraktionsvermögen: Wir wissen nicht mal, ob der Orkan in ein paar Stunden tatsächlich über das Land stürmt. Viele Menschen zweifeln deshalb an der Verlässlichkeit der Klimamodelle.

Niko Paech: Wir können zwar keine genauen Prognosen machen - aber der Zielkorridor wird immer enger. Wir bekommen eine immer genauere Vorstellung davon, was auf uns zukommt. Wir können doch eins und eins zusammenzählen. Wir sind fähig, abstrakt zu denken...


natur: ...und neue Technologien zu entwickeln, die unsere Probleme lösen.

Niko Paech: Das ist genau der Fehler: Wir fixieren uns auf Objekte und erhoffen uns von ihnen die Rettung. Trotz aller energiesparenden Technologien hat unser Energieverbrauch im vergangenen Jahr wieder einen Rekordwert erreicht. Was bringt ein ökologisch designtes Smartphone, wenn ich immer mehr davon kaufe?


natur: Durch die E-Bikes ist kein bisschen Autoverkehr reduziert worden

Niko Paech: Durch die E-Bikes ist kein bisschen Autoverkehr reduziert, aber eine komplementäre Industrie geschaffen worden, die mit Plastiktachos und Spezialkleidung jeden Konsumentenwunsch erfüllt. Was hilft ein Passivhaus, wenn ich damit nur mein schlechtes Gewissen wegen all der Flugreisen entlaste, die ich unternehme? Ich muss den gesamten Lebensstil eines Individuums betrachten.


natur: Das klingt ja fast so, als sei die Entwicklung energieeffizienterer Technologien völlig sinnlos

Niko Paech: ... Erst, wenn wir uns an individuellen Obergrenzen für CO2-Mengen und anderen ökologischen Ressourcen orientieren, haben sie einen nachhaltigen Effekt. Dann kann das Neue das Alte verdrängen. Doch dann gibt es kein Wirtschaftswachstum. So ist das nun mal. Die Vorstellung von grünem Wachstum ist ein Widerspruch in sich.


natur: Für viele wird das als Motivation nicht reichen, ihren Lebensstil zu ändern.

Niko Paech: Die Verknappung strategischer Ressourcen wird uns bereits viel früher als die Klimaerwärmung zu Verhaltensänderungen zwingen. Da werden wir gar keine Wahl haben. Wir sind völlig abhängig geworden von unserem hohen Verbrauch an Fläche, Rohöl, Phosphor, Coltan. Das begrenzte Angebot trifft auf eine explodierende Nachfrage, vor allem aus Indien und China. Das kann nicht gut gehen. Die Preise für die meisten Dinge, die wir uns heute leisten, werden steigen. Wir werden unseren Lebenswandel einfach nicht mehr bezahlen können. Punkt.


natur: Dann wird der Preis das Problem regeln. Brauchen wir dann nicht einfach nur abzuwarten?

Niko Paech: Das wäre riskant. Wir können nicht sicher sein, dass die erzwungene Konsumreduktion ein stetiger Prozess sein wird. Der Zusammenbruch in Griechenland zeigt doch, dass Versorgungssysteme von jetzt auf gleich kollabieren können. Weil alles mit allem verbunden ist. Wie in der Ökosphäre. Es macht also Sinn, schon jetzt vorbereitend eine Avantgarde zu schaffen, die neue Lebensstile ausprobiert, welche mit wenig Energie und Produkten, ohne Fluggeräte oder aufwändig hergerichtete Urlaubsorte auskommt. Deren Erfahrungswissen dient dann den anderen, die jetzt noch in Konsumträumen schwelgen. Die sehen dann: Die Pioniere lächeln über den Wachstumseinbruch. Und deren Leben ist gar keine Wurzelbehandlung. Diese Vorbildfunktion reduziert Frustration, Ängste und letztlich die Möglichkeit von Gewalt.


natur: Wen meinen Sie mit Avantgarde?

Niko Paech: Zum Beispiel die Transition Town-Bewegung, die Do-it-yourself-Kultur, die Urban Gardening- und Regio-Geld-Bewegung. Repair Cafés. Auch in dieser Kneipe hier findet regelmäßig ein Repair Café statt, bei dem sich Leute mit Reparaturen aller Art weiterhelfen.

Fragen von Tilman Wörtz an den Ökonom Niko Paech von der Universität Oldenburg

SZ vom 17.01.2014 Ökonomie und Ökologie - "Grünes Wachstum" gibt es nicht

Prof. Dr. Niko Paech formuliert dazu 2013:

Die landläufige Kritik am Industriemodell fokussiert auf ökologische und soziale Verwerfungen. Als Therapie werden zumeist „Green Economy“ sowie eine gerechtere Verteilung der Wertschöpfung angestrebt. Ansonsten wird eine permanente Steigerung des Güterwohlstandes nicht in Frage gestellt, sondern mit Freiheit und Fortschritt assoziiert. Mithin wird der ohne Wachstum nicht zu stabilisierende Konsumreichtum, abgesehen von gelegentlichen Korrekturbedarfen im ökologischen und sozialen Bereich, der gerechte Ertrag einer Abfolge von Effizienzfortschritten oder menschlicher Schaffenskraft ist, folglich „erarbeitet“ oder „verdient“.

 

Tatsächlich leben die Insassen zeitgenössisicher Konsumsysteme auf dreifache Weise über ihre Verhältnisse. Die angeeigneten physischen Leistungen, lassen sich kaum als Gegenwert eigener Verrichtungen legitimieren, sondern werden erstens mitels Energie umwandelnder Apparaturen, zweitens auf Kosten zukünftiger Generationen und drittens durch Inanspruchnahme entfernt liegender Ressourcen annektiert.

 

Diese offenkundige Verwechslung zwischen Effizienz und Plünderung wirft die Frage nach den Grenzen für einen verantwortbaren Wohlstand auf.

 

Genau darauf beruhen die Grundprinzipien der Postwachstumsökonomie, insbesondere Suffizienz und Subsistenz. Im Gegensatz zur Selbstversorgung bedeutet Konsum, Dinge zu verbrauchen, die nicht selbst produziert werden. Konsumwohlstand wird mit einer nie dagewesenen Schicksalsabhängigkeit erkauft, da er ergrenzte Fremdversorgung voraussetzt. Je höher das Versorgungsniveau, desto tiefer der Sturz, wenn die Wachstumsmaschine mangels Ressoucen erlahmt. Der Weg in den Überfluss setzt spezialisierte Arbeitskräfte voraus. Dies zerstört die Kompetenz, sich punktuell ohne Geld und externe Ressourcenzufuhr eigenständig zu versorgen. Fremdversorgte Individuen sind verletzlich und zugleich erpressbar.

 

Der expansive Charakter moderner Freiheitsauslegungen hat längst psychologische Belastungsgrenzen erreicht. Damit Konsumaktivitäten Nutzen stiften können, muss ihnen ein Minimum an Aufmerksamkeit gewidmet werden, was wiederum das Aufbringen von Zeit voraussetzt. Insoweit das Angebot an Dingen und Ereignissen geradezu explodiert, der Tag aber nach wie vor nur 24 Stunden hat, verschärft sich die Verwendungskonkurrenz um eine nicht vermehrbare Ressource, nämlich Zeit. Wenn Selbstverwirklichung in Konsum-Burn-Out umzuschlagen droht, hilft nur noch Suffizienz, also Befreiung vom Überfluss.

Magazin zum Kongress: think more about 2013

Auszug Wikipedia:

Der von Paech in Deutschland ab 2006 in die Diskussion

gebrachte Begriff der Postwachstumsökonomie bezeichnet ein Wirtschaftssystem,

das zur Versorgung des menschlichen Bedarfs nicht auf Wirtschaftswachstum

angewiesen ist, sondern sich durch Wachstumsrücknahme auszeichnet. Er grenzt

sich dadurch bewusst von Begriffen der Nachhaltigkeitsdebatte wie „grünem“ oder

„nachhaltigem“ Wachstum ab, bezeichnet die Existenz von grünem Wachstum gar als

Wunder oder Mythos. Er sieht die Notwendigkeit für eine solche

Wirtschaftsordnung in der nach seiner Auffassung gescheiterten Entkopplung der

Umweltschäden und des Rohstoffverbrauchs von der Wertschöpfung, in den

Erkenntnissen der Glücksforschung zum nicht weiter durch Konsum oder Einkommen

zu steigernden Wohlbefinden und in ökonomischen Grenzen wie z. B. dem globalen

Ölfördermaximum. Sein Ansatz basiert auf den fünf Prinzipien institutionelle

Innovationen, stoffliche Nullsummenspiele, Regionalökonomie, Subsistenz und

Suffizienz, „die letztlich in einer höheren individuellen Lebensqualität und

mehr Gemeinwohl resultieren.“ Es existierten keine per se nachhaltigen Produkte

und Technologien, betont er, sondern nur nachhaltige Lebensstile.


Paech betont, dass der Ressourcenverbrauch nicht nur

ökologisch schädlich sei, sondern die Menschen auch psychisch überfordere. Er

bezeichnet dies als „Konsumverstopfung“, die „radikale Reduktion von

Ansprüchen, welche der materiellen Selbstverwirklichung dienen, sei kein

Mangel, sondern ein Gewinn.“ Als Mittel zur Erreichung einer größeren

Zufriedenheit und einer geringeren Abhängigkeit von der globalen

Ressourcenkette nennt er: die Reduzierung der Arbeitszeit auf eine

20-Stunden-Woche, mehr Zeit für den Selbstanbau von Obst und Gemüse und für die

Instandsetzung und das Teilen von Gegenständen, einen weitgehenden Rückbau von

Autobahnen und Flughäfen sowie effiziente, wandelbare und wiederverwertbare

Produkte. Er hält es für sinnvoll, wenn eine Avantgarde bereits einen

entsprechenden Lebensstil pflegt und mit weniger Konsum gut auskommt, damit sie

mit ihrem Erfahrungswissen und ihrem Vorbild dazu beiträgt, Frustrationen,

Ängste und eventuelle Gewalt zu verringern.

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